ICH - Andreas Klemm

Weil keine Industrie klimaneutral ist, ist erst Keine Industrie klimaneutral

Der künftige Beitrag der Übertragungsnetzbetreiber zur Dekarbonisierung Deutschlands

Bayreuth, 10.12.2023 - "Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fehlt die gesetzliche Grundlage für [den Bundes-] Zuschuss" heißt es auf Netztransparenz.de. Gut möglich, dass es diese gesetzliche Grundlage auch nie geben wird, so dass die Übertragungsnetzbetreiber ab dem Jahr 2024 vermutlich einen deutlich größeren, als den bisher absehbaren Beitrag zur Dekarbonisierung (vulgo 'Deindustrialisierung') Deutschlands leisten werden.

In einem Interview mit dem 'Deutschlandfunk' äußerte sich der Bundeswirtschaftsminister am 20.11.2023, also nachdem das Bundesverfassungsgericht der Regierung bescheinigte, dass deren Tricksereien bei der Haushaltsfinanzierung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, im Deutschalandfunk folgendermaßen: "Das bezieht sich auch auf den Wirtschafts- und Stabilisierungsfond. [...] Das heißt aber im Klartext, dass [...] die Bürgerinnen und Bürger [aber, wie er später noch einräumen wird, auch die Unternehmen – d. V.] höhere Strom- [...]preise bekommen werden. [...] Das würde nämlich bedeuten, dass die Netzentgelte [...] dadurch nicht mehr abgedeckelt werden können, also höhere Stromkosten kommen für alle Menschen in Deutschland, für die Unternehmen wie für die Verbraucher." (ab Min. 11:13) Es bedarf sicher keiner sonderlichen Betreuung beim Denken, sich die Folgen einer Verdoppelung der Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber für die energie- bzw. stromintensive Industrie in Deutschland vorzustellen, die durch einen Bundeszuschuss von 5,5 Mrd. Euro vermieden werden sollte. Gut möglich, dass Deutschland seine ehrgeizigen Klimaziele also viel früher erreichen wird, als es die kühnsten Prognosen vorhersagen.

Wenig später, auf der Bundespressekonferenz am selben Tag werden die Äußerungen des Ministers von seinem Sprecher und dem Sprecher der Bundesregierung bekräftigt:

Frage: "Zwei Fragen zum WSF [Wirtschaftsstabilisierungsfonds – d. V.]: Minister Habeck sagte heute Morgen im 'Deutschlandfunk', dass der WSF von dem Urteil aus Karlsruhe betroffen sei. Da müsse die Union keine Prüfungen durchführen. Herr Säverin [Sprecher des Wirtschaftsministers – d. V.], ist das eine durch das Haus juristisch geprüfte Ansicht oder hat der Minister das einfach so gesagt? Und, Herr Hebestreit [Regierungssprecher – d. V.], schließt sich die Bundesregierung als Ganze diesem Urteil an, oder bleibt das eine Privatmeinung von Herrn Habeck?"

Dr. Säverin (BMWK): "Der Minister sagt niemals etwas nur so dahin. Wenn er das sagt, dann hat es Hand und Fuß."

StS Hebestreit: "Ich glaube, das ist auch kohärent mit dem, was wir hier seit Mittwoch sagen, dass die Auswirkungen dieses Urteils überhaupt nicht überschätzt werden können und wir jetzt genau prüfen müssen, welche Auswirkungen es konkret gibt. Ich glaube, am Freitag habe ich mich an dieser Stelle sehr ähnlich geäußert wie Herr Habeck heute im 'Deutschlandfunk'. Insofern ist das natürlich auch die Position der Bundesregierung, womit aber noch nichts dazu gesagt ist, welche Folgen diese Einschätzung hat."

Das muss man erst mal sacken lassen.

Die Krone für's 'Große Ganze'

Doch zurück noch einmal zum Interview, das der Bundeswirtschaftsminister dem 'Deutschlandfunk' gab. Ab Min. 8:20 lässt der Minister den Regierten noch ein wenig Algebra angedeihen: "[...] um 10 Euro wird es teurer, die Tonne CO2. [...] das sagen [...] alle [...] der Klimaschutz kann ja auch über den höheren CO2-Preis erreicht werden; die Union sagt sogar 'nur darüber', dann müsste man es nicht um 10 Euro, sondern um 100 Prozent, also verd... [unverständliches Gestammel] den Faktor 10 verdoppeln, also ungefähr 200 oder 300 Euro pro Tonne CO2 nehmen." Noch mal (zusammengefasst): "[...] um 100 Prozent, also [...] den Faktor 10 verdoppeln [...]". Jeder Lektor hätte derlei krude Passagen aus dem Manuskript eines Kinderbuchs getilgt – aber wer wird einem Kinderbuchautor widersprechen, der sich zu Höher(-Bezahlt)em berufen fühlt?

Ob absichtlich oder nicht, der Bundeswirtschaftsminister hat mit seiner Aussage jedenfalls dem ambitionierten deutschen Klimaschutz ein Preisschild verpasst. Nach Ansicht des Ministers werde der Klimaschutz, soll er nur über den CO2-Preis erreicht werden, die Deutschen so 200 bis 300 Euro pro Tonne CO2 kosten. Zwar wäre ein hoher CO2-Preis allemal transparenter, als erst den Steuerzahler zu schröpfen, die Steuereinnahmen dann, Hans-im-Glück-gleich, einer überbordenden Bürokratie und Verwaltung zu überantworten und mit dem, was übrigbleibt, die energieintensive Industrie zu subventionieren. Allerdings würden solch exorbitant hohe CO2-Preise die heimische Industrie sicherlich den letzten Rest ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit kosten. Trefflich, dass sich der visionäre Minister auch mit einem solchen Szenario schon mal auseinandergesetzt hat! Seiner Ansicht nach müssten bestimmte Branchen dann erst mal aufhören zu produzieren, wären aber nicht insolvent ... automatisch und Deutschland wäre der Klimaneutralität einen großen Schritt näher.

Natürlich könnte man einwenden, die Industrie könne sich die hohen CO2-Preise durch Dekarbonisierung sparen und beispielsweise (vollständig) auf (vermeintlich) CO2-freie Energieträger umstellen. Aber auch das hätte, mal ganz abgesehen von der aktuell noch begrenzten Verfügbarkeit, seinen Preis. Um nämlich – aber das führt schon fast etwas zu weit – Wind und Sonne, die bekanntlich keine Rechnung schicken (wohl aber jene, die aus Wind und Sonne elektrische Energie gewinnen), in etwas Planbares, Verlässliches, d. h. der (verwöhnten) Industrie Genehmes zu wandeln, bedürfte es eines erheblichen Aufwandes. Will man dem Protagonisten der deutschen Planloswirtschaft und seinen Einflüsterern zugutehalten, sie hätten für einen Augenblick ihren dirigistischen Ideen abgeschworen und ein Fünkchen Marktwirtschaft einfließen lassen, als sie sich die 200 bis 300 Euro je Tonne CO2 ausgedacht haben, dürfte die genannte Spanne – ganz dem Wesen der Marktwirtschaft entsprechend – wohl den für Deutschland effizientesten, d. h. den günstigsten Weg zum erklärten Ziel beziffern.

Und was meint Vilfredo Pareto?

Allein die Tatsache, dass Deutschland also jeder emittierten Tonne CO2 mit 200 bis 300 Euro beizukommen gedenkt, spricht Bände. Deutschland generiert je emittierter Tonne CO2 eine vergleichsweise hohe Wirtschaftsleistung. CO2-neutraler wirtschaften da lediglich von der Topographie begünstigtere Staaten, Länder mit anderem wirtschaftlichen Schwerpunkt oder Volkswirtschaften, die der Kernenergie aufgeschlossener gegenüberstehen. Leicht schweifen da vereinzelt Gedanken zu Vilfredo Pareto (1848–1923) ab, denn offensichtlich ist es in Deutschland besonders teuer, eine Tonne CO2 zu vermeiden. Mit anderen Worten: In anderen Ländern der Erde könnte man mit 200 bis 300 Euro deutlich mehr als die Emission nur einer Tonne CO2 vermeiden. Stellt sich also die Frage, ob ein nationaler Ansatz wirklich so schlau ist, einer globalen Herausforderung zu begegnen? Bei einem deutschen Anteil am anthropogenen Klimawandel von weniger als zwei Prozent wäre dem Klima vermutlich mit einem globalen Ansatz und dem Standort Deutschland mit einer Energie-, Verkehrs- und Sonst-Was-Noch-Wende á la Baerbock mehr geholfen.

Und mal ganz nebenbei: Ist nicht dieses Personal auf der Regierungsbank der offenkundigste Beweis für den eklatanten Fachkräftemangel in Deutschland?

Die absoluten Zahlen

Welche Beträge aber stehen ganz konkret im Raum? Laut Umweltbundesamt wurden für das Jahr 2022 Gesamt-CO2-Emissionen in Höhe von 746 Mio. t berichtet. 746.000.000 t CO2 x (200 ... 300) Euro / t CO2 = (150 ... 225) Mrd. Euro. Das entspricht – um diese abstrakte Zahl mal einzuordnen – ca. 3,9% ... 5,8% des Wertes der 2022 in Deutschland hergestellten Waren und Dienstleistungen (BIP 2022: 3.876,8 Mrd. Euro) bzw. knapp einem Drittel bis knapp der Hälfte des Bundeshaushaltes, der sich 2023 auf 476,29 Mrd. Euro belaufen sollte. So viel also kostet Deutschland jährlich der Klimaschutz. Und weil bei einer – jedenfalls soliden – Haushaltsführung jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, stehen diese 150 bis 225 Mrd. Euro dann eben nicht mehr für die Verbesserung der inneren Sicherheit, der prekären Zustände im Bildungs- und Gesundheitswesen, der maroden Infrastruktur usw. zur Verfügung.

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